Jeder Fotograf, der sich neben dem Handwerk mit der Kunst befasst, kommt an den Punkt, an dem er sich entscheiden kann. Nicht muss, wohl bemerkt. Sondern kann.
Und gut, dass Du fragst, was für eine Entscheidung das sein soll. Denn ich habe mir dazu natürlich schon Gedanken gemacht.
Man kommt an den Punkt, wo die persönliche bildnerische Idee mit der Arbeit als Dienstleister in Konkurrenz tritt. Ist man auf der einen Seite willfähriger Erfüllungsgehilfe, kann man auf der anderen Seite machen, was man will.
STOP! schreien da die ersten. Warum sollte es da eine Art Interessenkonflikt ergeben und warum kann ich machen, was ich will? Wer der Meinung ist, man müsse sich bei der Umsetzung der eigenen Idee beschränken, dem sei gesagt:
NEIN! Man „muss“ sich an keiner Stelle nach jemandem richten. Die einzigen Fragen , die gestellt werden können in dem Zusammenhang sind die, die man sich selber stellt. Was ist das individuelle Ansinnen bei der künstlerischen Freizügigkeit. Und freizügig meint an der Stelle die Freiheit, die Gedanken ohne Beschränkung umherschweifen zu lassen. Sei es beim Fotografieren von überfahrenen Igeln oder die unvoreingenommener Darstellung menschlicher Körper.
Ist man bei der fotografischen Dienstleistung an die Umsetzung einer von außen herangetragenen Fremdidee gebunden, ist die freie künstlerische Arbeit das Schlaraffenland der unbegrenzten Möglichkeiten. Du kannst Brückenschläge versuchen, wo keine Brücken passen. Du kannst deiner kreativen Energie jede Form von Ventil geben. Und du musst sie nicht mal begründen.
Rechtfertigung ist eh ein ganz schlechter Berater in dem Gefüge, denn niemand muss seine bildnerische Vision anderen gegenüber rechtfertigen. Auch wenn die selbsternannten Platzhirsche in diversen Fotoforen etwas anderes behaupten. Mach, wie Du denkst. Einzig im Hinterkopf solltest Du haben – damit du nicht überrascht wirst von absurden Reaktionen – dass eben auf die unterschiedlichen Bilder ganz unterschiedliche Betrachterblicke geworfen werden. Und es wird immer die geben, die deine Idee nicht verstehen. Sei es, weil sie sowieso keiner versteht. Oder sei es , weil die Leute einfach zu dämlich sind, aber dennoch die Klappe aufzureissen wagen.
Wenn man sich mit Menschen unterhält, die sich im Dunstkreis von Kunst und künstlerischer Arbeit bewegen, kommt man im Kern immer auf den gleichen Pudel. Kunst und Kommerz – also wirkliche Kunst im Definitionssinne – beißen sich komplett.
Wie wirkliche Kunst definiert ist, willst Du wissen? Normalerweise müßte ich Dich jetzt selber recherchieren lassen anstatt es Dir vorzukauen. Aber damit wir die gleiche Definition vor Augen haben, hier also das, was ich damit meine (und vornehmlich Wikipedia):
„...Das Wort Kunst bezeichnet im weitesten Sinne jede entwickelte Tätigkeit von Menschen, die auf Wissen, Übung, Wahrnehmung, Vorstellung und Intuition gegründet ist. Im engeren Sinne werden damit Ergebnisse gezielter menschlicher Tätigkeit benannt, die nicht eindeutig durch Funktionen festgelegt sind…“ (Wikipedia)
Prof.Dr.Tiedemann von der Uni Hamburg sagt dazu :
„…Kunst ist ein kulturelles Tätigkeitsfeld, in dem Menschen sich aufgrund ihrer Begabungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten ernsthaft bemühen, ihre Gefühle und Gedanken durch ein selbst geschaffenes Werk oder durch eine Handlung auszudrücken. Besteht der Ausdruck in einem Werk (Gegenstand, Gebilde), das nach seiner Vollendung auch andere Menschen sinnlich wahrnehmen können, wird dieses Tätigkeitsfeld „bildende“ Kunst genannt..“
Wem das zu intellektuell und zu verkopft vom Machen weggeht, dessen Auge sei auf das entscheidende Wort „Intuition“ gelenkt.
Folge Deiner Intuition. Und das kannst Du nur, wenn Du dich nicht rechtfertigst. Sei es über bestimmte technische Maßgaben. Oder durch moralische Vorgaben. Lass das!
Schon immer hat der Mensch experimentiert. Wie sonst könnten wir die Existenz von Wein, Bier, Käse und Brot erklären? Die Frage in dem Zusammenhang, warum jemand Kaffeebohnen erst benutzt, nachdem sie durch den Darm einer Schleichkatzenart gewandert sind oder wie jemand auf die Idee kam, an einer mittelamerikanischen Kröte zu lecken, stellt sich hier nicht unmittelbar. Auch wenn sie sicher sehr interessant sein könnte.
Beim Schreiben eines meiner Bücher bzw. beim Mitschreiben eines Buches gab es eine Schlüsselszene im Rahmen eines Autorenmeetings. Dort überlegten wir uns, wie wir zu den ausgewählten Fotos entsprechend die „Wie-ist-das-entstanden-Infos“ – neudeutsch das „Making-of“ – denn darstellen. Ein Format war schnell gefunden, allerdings war mein Co-Autor völlig fassungslos, als er feststellte, dass zum einen 95% meiner Bilder mit der gleichen Einstellung der Kamera entstanden und zum anderen ich nicht mehr wusste, wie das Bild an sich zustandekam. Was also die Grundidee war und wieso dieses oder jenes im Bild zu sehen war/ist.
Ich musste ihn leider in seiner Fassungslosigkeit alleine lassen, denn eine grundlegende Essenz bei den Bildern schälte sich dabei heraus. Nämlich die Intuition. Nicht zu erklären. Nicht zu erzeugen. Sie ist da. Oder eben nicht.
Nun mag Dich das abschrecken und wie im Laufe des fortschreitenden Jahres die Pseudoargumentation immer stärker begründen kann, warum du nicht regelmäßig zum Sport gehst, wirst Du vorbringen, dass es ja gar nicht dein Ziel ist so esoterisch „Kunst“ zu machen. Kunst macht man nicht. Kunst entsteht. Siehe oben bei der Definition.
Ist das nicht Dein Ansinnen, dann sei ein verdammt guter Handwerker. Ist Dein Weg ein anderer, dann folge deiner Intuition. Und unterlass es auf jeden Fall, dich zu rechtfertigen.
Rechne allenfalls dabei dann damit, dass die Neider, Hetzer und Schmäher dich als arrogant und Unsympathisch betiteln. Als Künstler eine Auszeichung. Sympathisch solltest Du nur sein, wenn Du Dienstleister bist.
Vielleicht haderst Du mit gewissen Dingen im Rahmen deiner kreativen Prozesse. Aber versuch mal einen kleinen Umweg, der dir unter Umständen einen anderen Blickwinkel ermöglicht. Schau mal , mit welchen Modellen Du deinen größten kreativen Output hast. Und dabei zählt manchmal die Häufigkeit. Manchmal aber auch einfach nur wie ikonisch deine Bilder dabei werden.
Und vielleicht hilft Dir dabei das schöne Wort Muse. Bringst Du es bisher nur in Verbindung mit den Biographien der Großen in der Kunst, versuch doch mal in dich zu horchen, wer dich ganz persönlich am innigsten inspiriert. Und bedenke : Keine Rechtfertigung! Also ist es völlig egal, auf welcher Ebene Dich jemand inspiriert. Solange dein und „Ihr“ (also der Muse ihr sein) Gewissen keinen Bisse hat, schwelge.
Denn nur bei diesen Menschen findet deine Intuition ihre Stimme.
Also, trau dich!
P.S.: Du willst zum Thema „Muse“ mehr lesen? Demnächst hier mehr!